Der 28jährige Marvin Ehrlichmann aus Belm fiel im Sommer 2020 auf, als er mit einem selbstgebastelten Pappschild durch die Osnabrücker Fußgängerzone lief. Auf seinem Schild stand „Redefreiheit für Holocaustrevisionisten“ – eine bedenkliche Forderung, die er durch das Unterschreiben einer Online-Petition zur Freilassung von Ursula Haverbeck unterstreicht. Diese saß zu dem Zeitpunkt wegen Holocaust Leugnung im Gefängnis.
Diese Schilder-Aktion wiederholte er – mal alleine, mal mit Begleitung. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück wurde aufmerksam und stellte daraufhin fest, dass hierdurch kein Straftatbestand erfüllt sei.
Im Mai 2021 machte Ehrlichmann erneut, diesmal im universitären Kontext, auf sich aufmerksam. Mittlerweile ist er Student der Universität Osnabrück am Fachbereich Mathematik/Informatik und nutzt seine Möglichkeit, Einträge am digitalen schwarzen Brett der Uni vornehmen zu können:
Unter seinem Klarnamen wollte Ehrlichmann, ganz im Sinne der fehlgeleiteten Forderung, alles sagen zu dürfen, einen „Mein Kampf“-Lesekreis ins Leben rufen. Seine Ausführungen dazu waren teilweise schwer nachzuvollziehen und lassen ihn irgendwo zwischen christlichem Fundamentalisten, Reichsbürger, Neonazi und Holocaustleugner verorten.
Aufgrund dessen wurde Anzeige gegen Ehrlichmann gestellt – er hatte zur Einladung zum Lesekreis einen Link beigefügt, unter der man eine (unkommentierte) Ausgabe des Buches aus dem Jahr 1943 herunterladen konnte. Der Anzeige folgte ein Strafbefehl, gegen den Ehrlichmann Einspruch einlegte.
Bei der darauffolgenden Verhandlung machte er seine Gesinnung noch einmal sehr deutlich: er unterbrach bereits die Verlesung der Anklageschrift und trug eigene, sehr bedenkliche Ausführungen vor. Dann verließ er freiwillig den Gerichtssaal. Die Verhandlung war nach kurzer Zeit beendet und wird so gewertet, als wäre der Angeklagte nie aufgetaucht.
Ehrlichmann hatte einen Tonfall gewählt, welcher stark an die Sprechweise von Hitler in dessen Reden erinnerte – und Inhalte verbreitet, welche dem Neonazi- und Reichsbürger-Spektrum zugeordnet werden können. Sein vorangegangener Schriftverkehr mit dem Gericht hatte dazu geführt, dass am Verhandlungstag erhöhte Sicherheitsmaßnahmen in Kraft traten, wie die NOZ berichtete.
Ist Marvin Ehrlichmann nun eine verwirrte, vielleicht gefährliche Einzelperson?
Dies entspricht nicht der Realität, denn bereits im September 2020 war er auf einem völkisch-neonazistischen Erntefest in Eschede zugegen, das federführend von der JN, der Jugendorganisation der NPD, organisiert wurde und an dem führende Aktivist:innen der niedersächsischen Neonazi-Szene teilnahmen.
Eine Fotodokumentation der Demonstration und des anschließenden Erntefestes findet sich hier: https://recherche-nord.com/gallery/2020.09.26.html
Im September 2021 trat Marvin Ehrlichmann zudem bei den Wahlen zum Kreistag in Osnabrück als Kandidat für das Freie Osnabrücker Bündnis (FOB) an, welches bereits in der Vergangenheit als Tarnorganisation der NPD in Erscheinung trat.
Es bleibt zu vermuten, dass Ehrlichmann darüber hinaus gut in die niedersächsische Neonaziszene vernetzt ist.
Zudem trat Ehrlichmann seit 2021 mehrfach im Rahmen der Osnabrücker Pandemieleugner:innen-Proteste auf, zuletzt am 3. Januar 2022.